Unsere liebsten narrativen Spiele

Eine Lieblingssache zu finden, erweist sich, egal bei welchem Thema, oftmals als schwierige Aufgabe und bei Videospielen ist es vielleicht noch etwas schwieriger, denn dieses Medium ist nicht im Geringsten homogen.
Die schiere Masse der verschiedenen Parameter, die ein Spiel ausmachen, macht selbst einen einfachen Vergleich zu einer schwierigen Aufgabe, ganz zu schweigen von der Absicht, in diesem Vergleich einen Wert zu finden, der zu der Entscheidung führt, das Spiel als Lieblingsspiel zu bezeichnen.
In Bezug auf eine Erzählung - sei es in der Literatur, im Film, in Spielen oder anderen Medien - gab es schon immer das Bestreben, eine Art Formel festzulegen, meist auf der Gegenüberstellung von Merkmalen: handlungsorientiert versus charakterorientiert, Realismus versus Fiktion, Tiefgründigkeit versus einfache Unterhaltung.
Aber der menschliche Geist ist zu einer Fülle von unterschiedlichen Geschmäckern und Vorlieben fähig. Was für den einen eine lebensverändernde narrative Erfahrung ist, kann für einen anderen das Langweiligste sein und umgekehrt. Das ist es, was es so faszinierend macht, herauszufinden, nach welchen Kriterien wir eine Geschichte als unsere Lieblingsgeschichte auswählen, denn letztendlich ist es auch eine Selbstbetrachtung.

Wir haben unsere Teammitglieder nach ihren liebsten narrativen Spielen und den Gründen dahinter gefragt, um euch einen Einblick aus erster Hand zu geben, welche Vorlieben einen prägen können, wenn es darum geht, was wir "Lieblings-" nennen.

Alex: Dragon Age: Origins
Mein liebstes narratives Spiel ist Dragon Age: Origins von BioWare, meine erste ernsthafte RPG-Erfahrung, was natürlich meine rückblickende Wahrnehmung beeinflusst. Im Vergleich zu anderen Videospielen, mit einem Fokus auf der Geschichte, mag DA:O vielleicht etwas generisch wirken, aber der Stil ließ mich oft darüber nachdenken, welcher Weg der beste für meinen Charakter ist und wie ich meine Ziele erreichen kann, ohne meine Integrität zu verlieren.
Von der Handlung her ist es sicherlich nicht das kreativste (besiege das große Böse), aber jeder Moment des Spiels war perfekt Einklang mit sich selbst und füllte so diese leere Hülle einer Vorlage in kleinerem Maßstab mit Originalität und Bedeutung, dazu gewürzt mit interessanten Charakteren.

Dragon Age: OriginsDialoge leben von den interessanten Charakteren

Felix: Star Wars: Knights Of The Old Republic II - The Sith-Lords
Das Star Wars-Universum kommt einem vielleicht nicht als erstes in den Sinn, wenn man an außergewöhnliche Geschichten denkt. Gut gegen Böse... Ende. Das war's, oder? Nun, nicht im Fall von KOTOR II von Obsidian Entertainment, denn hier ist es Gut und Böse, sowie alles dazwischen, außerhalb, oberhalb, unterhalb und dahinter.
In einer meisterhaft geschriebenen Dekonstruktion wird der Spieler gezwungen, nicht nur über seine Handlungen nachzudenken, sondern auch über seine Denkweise, die diese bestimmt. "Spiele ich den Guten/Bösen, nur um des Guten/Bösen willen?" "War die Entscheidung, die ich gerade getroffen habe, wirklich meine oder bin ich einem vorgegebenen Weg gefolgt, den ich mir selbst auferlegt habe?"
Aber es wäre töricht zu glauben, dass das Spiel will, dass man es auf Neutral durchspielt. Denn im Gegensatz zu anderen Spielen über moralische Grauzonen will KOTOR II, dass man jede Art von Dogma ablehnt, dass man eine Entscheidung trifft und dazu steht, dass man sich keiner Prämisse beugt, sei es Gut, Böseoder das gleichfalls einschränkende Neutral.
Natürlich ist dies der harte Weg. Der ewige Kampf der Entscheidung und die Konsequenz des Zögerns, der zum berühmtesten Zitat des Spiels führt: "Gleichgültigkeit bedeutet Tod."

KOTOR II zeichnet sich dadurch aus, dass es die Grenzen des üblichen RPG-Denkens sprengt.

Ines: Bioshock Infinite
Wenn ich darüber nachdenke, welches mein liebstes narratives Spiel ist, denke ich immer an Bioshock Infinite von Irrational Games. Und dann denke ich: "Aber das ist doch so ein Gameplay-lastiges Spiel, so viele Schießereien. Das kann es nicht sein!" und dann versuche ich, an etwas anderes zu denken.
Aber heute will ich ehrlich mit mir selber sein: Bioshock Infinite IST mein liebstes narratives Spiel. Es ist das erste Spiel, das mich absolut verblüfft und verwirrt zurückgelassen hat und bei dem ich stundenlang auf Reddit gesucht habe, um herauszufinden, was gerade passiert war, nachdem ich das Spiel beendet hatte. Darüber hinaus bietet es eine brillante Umgebungserzählung. Alles fühlt sich so seltsam und Psycho in dieser Stadt über den Wolken an, welche von einem geheimnisvollen "Propheten" regiert wird. Wenn du vorhast, durch dieses Spiel zu rennen, ohne bei jeder Gelegenheit nach links und rechts zu schauen, entgeht dir eine Menge.
Dies ist nicht nur DAS Spiel, das ich am liebsten aus meinem Gedächtnis löschen würde, um es noch einmal zu erleben, sondern auch eines der ganz wenigen Spiele, bei denen mir das Gameplay "zu viel" ist und ich mir wünsche, dass nicht so viele Korridor-Shooter-Sequenzen mich von der Geschichte ablenken.
Nebenbei bemerkt: Die ganze Bioshock -Serie ist nur großartig und die DLCs binden alles zusammen, machen aber auch alles 10 Mal verwirrender. Ich liebe es!

Bioshock Infinitebindet die Umgebung perfekt in die Geschichte ein.

Jannik: Paradise Killer
Eines meiner liebsten narativen Erlebnisse bis heute ist Paradise Killer von Kaizen Game Works, in dem man einen Mordfall löst, der auf einer Vaporwave-Insel stattfindet. Ohne viel Zeit zu verschwenden, wird man in das Verbrechen eingeführt und soll dann einfach loslegen und es lösen. Ohne an die Hand genommen zu werden, stürzte ich auf der riesigen Insel in eine zufällige Richtung los, um das große Geheimnis zu lüften, nur um weitere, neue Abzweigungen zu finden, die von meinem Hauptziel ablenkten.
Das Vertrauen des Spiels in den Spieler fühlt sich so erfrischend an, und auch wenn es einen zu Beginn mit Tonnen von abstrusen Themen und Worldbuilding völlig verwirren mag, prägt die Art, wie man das Spiel spielt, die Perspektive auf den ganzen Fall. Man lernt: Fakten und Wahrheit sind nicht dasselbe.

Paradise Killer fesselt den Spieler mit interessanten Schauplätzen und fesselnden Handlungen.

Jens: Firewatch
Mein liebstes narratives Spiel ist Firewatch von Campo Santo. Für mich ist es einzigartig, weil es eine sehr persönliche, emotionale Geschichte erzählt und das Gefühl vermittelt, dass die Spielerinnen und Spieler wirklich eine persönliche Beziehung zu Delilah aufbauen, einer Figur, mit der wir nur über ein Funkgerät sprechen.
Durch die erstaunliche Liebe zum Detail und die cleveren kleinen Rückrufe auf Dialogentscheidungen von vor Stunden, hat man das Gefühl, dass die Spieler/innen Delilah allmählich immer näher kommen, mit ihr Witze machen, aber auch das Vertrauen aufbauen, um tiefere, persönlichere Themen zu besprechen. Das ist etwas, das ich in anderen Spielen noch nie gesehen habe.

Firewatch punktet mit einer gut durchdachten und persönlichen Storyline.

Luisa: Night in the Woods
Mein liebstes narratives Spiel ist Night in the Woods von Infinite Fall. Es handelt von einer kleinen Stadt in den USA und dreht sich um eine junge Frau, die vom College zurückkehrt und feststellt, dass sich ihre Heimatstadt und ihre Freunde verändert haben, während sie weg war.
Das Spiel behandelt sehr ernste Themen wie den Arbeitlosigkeit in Kleinstädten, Generationskonflikte und psychische Gesundheit auf eine wirklich ehrliche, direkte Art und Weise und ist gleichzeitig ein unterhaltsames und emotionales Erlebnis mit einigen übernatürlichen Elementen, die den Problemen der Protagonisten nichts von ihrer Nachvollziehbarkeit nehmen.

Night in the Woods zögert nicht, emotionale und private Themen aufzugreifen.

Sascha: Tangle Tower
Ich bin mir nie sicher, was eigentlich das "Lieblings-" bei Spielen, die ich mag, ausmacht, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass Tangle Tower von SFB Games eines meiner absoluten Lieblingsspiele der letzten Jahre ist. Das witzige Detektivabenteuer zeichnet sich durch schöne Grafik, unterhaltsame und gut gesprochene Dialoge, liebenswerte Charaktere, einen eingängigen Soundtrack, befriedigende Spielmechaniken und eine spannende Geschichte aus - aber das ist nur ein Teil des Grunds, warum es ein so denkwürdiger Moment in meiner Spielegeschichte bleibt.
Oftmals ist der Kontext, in dem wir Spiele spielen, genauso wichtig wie das Spiel selbst. In diesem Fall war der Kontext ein dunkler und regnerischer Sonntag im Winter 2022. Meine Freundin und ich begannen das Spiel gleich nach einem späten Frühstück und hörten nicht mehr auf - abgesehen von einem kurzen Spaziergang nach draußen, um in einem nahegelegenen Café Kuchen zu holen - bis wir spät in der Nacht den ganzen Fall gelöst hatten. Die Gemütlichkeit, an einem regnerischen Tag drinnen zu sitzen und langsam in die magische Welt eines Spiels einzutauchen, ist etwas, auf das wir uns immer noch beziehen, wenn wir über unvergessliche Erlebnisse sprechen und nach denen wir suchen, wenn wir andere Spiele spielen. Macht gerne Vorschläge dieser Art.

Tangle Tower unterhält auf jeder Ebene.

Wie wir sehen, ist der Grund, dass ein narratives Spiel ein "Liebling" wird, so vielfältig wie die Menschen, die man fragt. Ob es Nostalgie, Erkenntnis oder die Stimmung des Augenblicks ist, der Grund ist ein höchst persönlicher Akt, der oft offenbart, was der Person wirklich wichtig ist.
Und so gibt es vielleicht eine Formel: Jede Geschichte hat ihr Publikum.